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Im Jahr des Skorpions

 

Willkommen auf der Homepage der Autorin Isabell Pfeiffer !

 

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Nachdem wir noch einen Tag lang weitergezogen waren, wurde die Gegend lieblicher. Die Hügel zu beiden Seiten des Flusses wichen zurück und formten ein weites Tal; statt durch undurchdringlichen Wald liefen wir durch Wein- und Obstgärten. Die Luft war schwer vom Gesumm unzähliger Insekten und dem Duft der zartrosa aufblühenden Zistrosen. Wir bogen um eine scharfe Kehre und Bertot blieb stehen und winkte mich an seine Seite.

„Da unten liegt Tikra“, sagte er leise, und ein merkwürdiger Ton schwang in seiner Stimme mit, sehnsüchtig, zornig. Ich folgte mit den Augen seinem ausgestreckten Arm. Tikra, die erste Stadt, die ich jemals gesehen habe, schön, verführerisch und gefährlich. Die Stadt zog sich zu beiden Seiten des Flusses weit die Hänge hoch: Häuser über Häuser, bernsteingelb, perlmuttrosa, kieselgrau, mit einzelnen hohen Bäumen dazwischen, die sich aus engen Innenhöfen ihren Weg zum Himmel gesucht hatten, quirligen Plätzen, unzähligen Gassen und Gässchen. Eine einzige steinerne Brücke überspannte den Fluss in zwölf kühnen Bögen, und selbst von Weitem konnte ich die vielen Menschen, Tiere, Karren und Wagen erkennen, die sich unablässig darüber hinweg bewegten. Ein Stück weiter flussabwärts, in einer ausholenden Biegung, lag der Hafen, dessen Einfahrt zu beiden Seiten durch eine schmale Mole gesichert wurde. Zwei große Flusssegler lagen vor Anker, der eine davon schwer mit Fässern beladen, während am anderen Ende des Hafens Fischerboote schon ans Ufer gezogen waren. Über dem Ostufer fiel mein Blick auf eine Mauer, sicher höher als zwanzig Männer. Dahinter lag die Burg, erzählte Bertot: Der Vater des Fürsten hatte sie vor Jahren hier errichten lassen und ein ganzes Stadtviertel dafür dem Erdboden gleichgemacht. Selbst jetzt hielten die Häuser Abstand wie vor einer ansteckenden Krankheit. Von der Burg selbst war nur wenig zu sehen, sie war hinter der Mauer fast völlig verborgen. Nur an einer Stelle erhob sich ein wuchtiger Turm, von dem eine riesige schwarzrote Fahne flatterte.

„Komm.“ Bertot gab mir einen leichten Klaps. „Wir müssen vor Anbruch der Dunkelheit das Stadttor erreichen, sonst lassen sie uns nicht mehr hinein.“

 

©Isabell Pfeiffer

 

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